Wo steht die Digitale Transformation in Deutschland? Interview mit Henning Lange von Giant Swarm - STARTPLATZ

Wo steht die Digitale Transformation in Deutschland? Interview mit Henning Lange von Giant Swarm

29. Juni 2016, 12:56 :: Allgemein

Autor: Carolin Gattermann

“Digitalisierung heißt 1 und 0, sprich Code” – Giant Swarm Gründer Henning Lange zum Stand der Digitalen Transformation in Deutschland

Am 31. Mai fand im STARTPLATZ der erste Reverse Pitch im STARTPLATZ Köln statt. Bei diesem neuen Format stehen Konzerne auf der Bühne und präsentieren Startups Fokus- und Suchfelder für gemeinsame Projekte, New Business Ideen und stehen im Anschluss Frage und Antwort in der Diskussionsrunde. Dieses Mal waren Netcologne und RheinEnergie dabei. Mit im Publikum saß Seriengründer Henning Lange, Founder & CEO von Giant Swarm. Wir haben die Gelegenheit genutzt, ihn zu seinem Standpunkt in Sachen Digitale Transformation zu befragen.

reverse pitch

 

Du warst zu Gast beim ersten Reverse Pitch im STARTPLATZ. Erzählst du uns kurz etwas dazu?

Das Format ist eine gute Idee. Es gibt Startups die Möglichkeit, traditionelle Unternehmen und ihre Chefs kennenzulernen und diesen neue Impulse zu geben – ein Think out of the Box Ansatz. Die Präsentationen der beiden Unternehmen waren gut und knackig, ihr Auftreten professionell und dabei sehr sympathisch.

Bei der anschließenden Diskussion jedoch zeigten beide Unternehmen auch ein wenig Hilflosigkeit. Die Frage, wie viele Entwickler es bei der RheinEnergie gibt, konnte von den beiden Unternehmensvertretern nur geschätzt werden, und zwar auf ca. 30. Bei einer Unternehmensgröße von mehr als 3.000 Mitarbeiter hieße das weniger als ein Prozent. Ich meine mich zu erinnern, dass Tesla als Autohersteller rund 60 Prozent Entwickler beschäftigt. Digitalisierung heißt 1 und 0, sprich Code. Und wer soll denn die Software entwickeln, die neue Wertschöpfung generiert?

 

Was bedeutet Digitale Transformation aus deiner Sicht?

Alles wird zu Software oder wie Marc Andreessen sagt: „Software will eat the world“. Software übernimmt jeden Tage mehr Aufgaben, so werden immer mehr Jobs von heute in der Zukunft von Software übernommen. Man denke z.B. an Taxi- oder LKW Fahrer, die durch selbstfahrende Autos abgelöst werden. Oder an voll-automatisierte Fabriken, in denen es keinen Menschen mehr gibt. Adidas plant z.B. so eine Fabrik in Deutschland zu bauen, denn das ist für das Unternehmen günstiger und flexibler (Stichwort customized products) als in Ost-Asien produzieren zu lassen. Software Entwicklern gehört dieses Zeitalter.

 

Welche Anreize müssten Unternehmen schaffen, um gute Entwickler anzuziehen und auch zu halten?

Eine offene und transparente Kultur mit kurzen Entscheidungswegen und vielen Freiheiten. Bei Giant Swarm zum Beispiel legen wir viel Wert auf Transparenz, z.B. bei Gehältern und Finanzen. Wir bieten flexible Arbeitszeiten, Remote Work, unbegrenzten Urlaub, freie Wahl bei Hardware und Software Setup und die richtige Software Infrastruktur. Gute Entwickler wollen nicht wochenlang auf einen Server warten, sie wollen loslegen! Wir haben interdisziplinäre Teams, die bewusst klein gehalten werden, kurze Sprints und – last but not least – wohl das Wichtigste: eine reizvolle Mission, an der sie teilhaben wollen und können.

 

Du warst letztes Jahr selbst im Silicon Valley. Was waren die interessantesten Erfahrungen bzw. Erkenntnisse?

Zu erleben wie eng, schnell und hilfsbereit das Ecosystem ist. Morgens trifft man einen Gründer, der vermittelt direkt Kontakte zu seinen Investoren. Diese wiederum treffen sich im Laufe der Woche mit dir, machen Intros zu möglichen Kunden und Partnern. Die Unternehmen dort sind viel offener, schneller zu testen und einen Piloten zu entwickeln. Und natürlich wie viel größer sie denken!

Das Problem auch dort ist aber, gute Leute zu finden und zu binden. Viele wechseln innerhalb von 12-24 Monaten ihren Job – so schnell kristallisiert sich nämlich oftmals heraus, ob das Unternehmen abhebt oder nicht und ob die Optionen etwas wert sind oder nicht – Loyalität ist hierzulande sicherlich etwas anderes.

Und zu guter Letzt das bekannte Problem, der deutlich höheren Kosten. Viele der jungen Millionäre verdrängen bisher dort Ansässige oder generell Interessierte, denn die Preise z.B. für Mieten steigen dort wirklich exorbitant!

Was ich hier immer wieder feststelle ist, dass wir denken, es seien die Amerikaner, die uns mit ihrer Technologie dominieren. Die Mehrheit der Unternehmen wird aber von Immigranten gegründet: Russen, Deutsche, Inder, Chinesen… Die guten Leute kommen von überall her, aber ja, sie gründen eine Inc., leben dort und zahlen dort ihre Steuern, einfach weil dort die Voraussetzungen für eine Gründung um ein Vielfaches besser sind.

 

Was muss in Deutschland passieren, um diese Entwicklung voranzutreiben?

Das fängt bei der Schule an, z.B. Schreibmaschinenkurs in der Grundschule, ebenfalls englisch und dann direkt Programmieren als gleichwertige „Fremdsprache“ lehren. Weiterführend dann viel mehr in Universitäten investieren und Forschung, Entwicklung, Unternehmertum und Geld zusammenbringen.

Außerdem müssen Unternehmensgründungen vereinfacht und beschleunigt werden.: Angel-Investments und VC-Funds sollten steuerlich begünstigt werden – in diesem Punkt sind wir selbst im Europäischen Vergleich schon sehr schlecht.

 

Hat Deutschland deiner Meinung nach noch eine Chance, aufzuholen?

Ja, aber das ist ein langer und schwieriger Weg, den wir noch nicht konsequent genug angehen.

 

Gibt es regionale Unterschiede – also Berlin vs. andere deutschen Städte oder Regionen wie dem Rheinland?

Ja, Berlin ist über die letzten 5-10 Jahre aufgrund vieler Standortvorteile (z.B. günstigere Lebenshaltungskosten) attraktiv für Startups und für viele internationale Studenten geworden. Es hat sich dort ein gutes Ecosystem gebildet, das mehr Startups und mehr Investoren als wo anders in Deutschland anzieht. So gibt es zunehmend mehr VC Fonds mit einem Büro in Berlin und US-Investoren sind häufiger in der Stadt. Ich sehe das wie im Fußball, Berlin ist ein wenig wie der FC-Bayern, und dann kommt erstmal lange nichts.

Dabei haben wir in Köln viele Vorteile! Fast die Hälfte der Dax-Konzerne ist in einer Stunde erreichbar. Wir haben mit Düsseldorf, Frankfurt und Köln drei internationale Flughäfen in der Nähe, eine super Anbindung nach Holland, Belgien und Frankreich und einige gute Unis – das müssen wir uns viel besser zunutze machen!

 

Welche deutsche Unternehmen machen das deiner Meinung nach schon ganz gut?

Unter den Dax Unternehmen sehe ich SAP und Bosch am besten aufgestellt. Die beiden haben mit Abstand am meisten Entwickler. Die Medienhäuser haben die Digitalisierung schon lange auf ihrer Agenda; Axel Springer und Burda haben sich meiner Meinung nach ganz gut geschlagen. Rewe greift sich mit Rewe digital von außen selbst an, weil sie wissen, dass sie ihre Kerngesellschaft nicht schnell genug transformieren können. Ich vermute, so eine Entwicklung werden wir auch bei anderen Unternehmen noch sehen. Ein gutes Beispiel ist hier auch BBVA in Spanien. In vielen Unternehmen rückt das Thema Digitale Transformation aber jetzt erst auf die Agenda beim Vorstand…

 

Zu guter Letzt: Was ist dein persönlicher Rat an Unternehmen die den Schritt in Richtung Digitale Transformation gehen möchten?

Wirklich verstehen was Digitale Transformation bedeutet. Dass Software Entwickler die Rockstars dieses Jahrhunderts sind. Sich fragen, wie viele Prozent ihrer Mitarbeiter Software Entwickler sind: unter 10 Prozent? Das ist zu wenig! Wie man Software Entwicklern das richtige Umfeld bietet. Sie müssen schauen, welche neue Wertschöpfung durch Software und die immensen Daten möglich werden und welche Produkte und Services dadurch möglich sind. Sie müssen verstehen, dass es womöglich zu lange dauert, die traditionelle Struktur zu transformieren. Dann bleiben zwei Möglichkeiten: eine neue getrennte Organisation aufbauen und sich selbst von außen angreifen, oder zukaufen; z.B. Walmart hat das sehr gut gemacht in den USA.


Henning Lange

Über Henning Lange
Bereits kurz nach seinem internationalen BWL Studium begann Henning Lange mit dem Gründen. Seit dem Jahr 2000 hat er fünf Unternehmen mit aufgebaut, darunter Ligatus, Ormigo, Catalyst Zero und AdCloud, welches 2011 an die Deutsche Post verkauft wurde. Aktuell ist er Geschäftsführer seines letzten erfolgreichen Startups Giant Swarm GmbH. Giant Swarm bietet Entwicklern und Unternehmen eine Managed Microservices Infrastruktur, um agiler, schneller und effizienter Software-Produkte zu entwickeln und skalieren.


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